Der Mitbewohner in meinem Portemonnaie

Besinnliches zum Neuen Jahr von Birte Pampel, Mitgründerin von GELD mit Sinn!

Engel fühlen sich auch in ganz normalen Geldbeuteln wohl.

Kitsch hat in meinem Leben keinen Platz. Sie werden an meinen Wänden keine röhrenden Hirsche finden und an meinem Handy keinen Hello Kitty-Anhänger entdecken. Aber ich muss Ihnen etwas gestehen, das nicht so ganz in dieses nüchterne Bild passt: Ich habe einen Schutzengel im Geldbeutel. Dieser Vertreter der Spezies Himmelsgeschöpfe ist ungefähr zwei Zentimeter groß, hat Flügel, die fast bis zum Boden reichen und sein Profil ist auf einer silbernen Münze eingeprägt. Ich trage diese Münze seit vielen Jahren in meinen Geldbeutel. Zwei weitere Exemplare befinden sich im Besitz von zwei Freundinnen. Unsere Geschichte ist eng verwoben mit den Ereignissen, die zu dieser Initiative geführt haben.

Wir waren drei Frauen ungefähr im gleichen Alter und wir hatten viel gemeinsam: Wir lebten in den neunziger Jahren in New York City. Wir waren „Ex-Pats“, im amerikanischen Ausland tätige Auswanderinnen. Wir arbeiteten in der Verlagsbranche und hatten unseren Arbeitsplatz im Herzen von Manhattan, dort, wo es schön lebendig und bunt zugeht.

Geld war in dieser Zeit immer und überall ein Thema. Denn als Angehörige der Verlagsbranche verdienten wir für New Yorker Verhältnisse relativ wenig — in einer Stadt, die fürs Geldausgeben gemacht ist! Zwar kostet ein Kaffee beim Straßenverkäufer nur 75 Cent, aber in der Zeit, in der man den Kaffee austrinkt, kann man theoretisch mehrere hundert Dollar ausgeben. Problemlos! Tolle Geschäfte an jeder Straßenecke, Restaurants zum Verlieben, Shoppingmalls am Sonntag: Da ist es im Prinzip völlig egal, wie viel Geld man verdient. Denn alle, auch die Besser- und Bestverdienenden, haben nie genug. Und alle reden, klagen und diskutieren öffentlich über Geld.

Manche beließen es nicht beim Diskutieren: Da war die Kollegin in der Bildagentur, die heimlich auf der Seite Fotos verkaufte, um sich ihre teure Garderobe zu finanzieren. Oder die aus der ehemaligen Sowjetunion emigrierte Autorin, die einer Shopping-Obsession erlegen war und noch Jahre später mit der Abzahlung ihrer Schulden kämpfte. Die Vertriebschefin, die ihre gesamte Sippe in Finanzdingen beriet und mit großem Erfolg „nest eggs“ (liebevoller Ausdruck für „Geldpolster“) ansparte. Oder die Studentin, die von Kreditkartenunternehmen umkreist wurde wie eine überreife Honigwabe.

Wir saugten diese Geschichten teils mit Neugier, teils mit der Erschütterung von Europäern auf, die es nicht gewohnt sind, derart offen und unbefangen über Geld zu reden. Gold verkleidete Trump Tower und Luxus-Limousinen mögen ja gehen, aber die eigenen Schulden, Geldsorgen und ruinösen Gewohnheiten zu diskutieren? Das fühlte sich irgendwie unfein und peinlich an.

Über die Jahre veränderte sich mein Verhältnis zu Gelddingen. Ein Auslöser war mein erster Arbeitgeber, ein Verleger, der alternative Finanzratgeber herausgab. Bei diesen Büchern ging es nicht um ökologische Themen (davon konnte in den 90er Jahren in New York City noch keine Rede sein), sondern um einen ganzheitlichen Umgang mit Geld, der in psychologischen, kulturellen und spirituellen Erkenntnissen wurzelte. Die Autorinnen und Autoren hinterfragten die psychologischen Mechanismen der Schuldenspirale und dem Wunsch nach finanzieller Sicherheit. Sie analysierten die uralten Mythen, die unser Finanzverhalten bis in die heutige Zeit beeinflussen, und diskutierten leidenschaftlich über die gesellschaftliche Verantwortung von altem und neuem Geld in den USA. Die Vielfalt der Perspektiven und Fragestellungen war faszinierend! Und je mehr ich von diesen Menschen las, desto mehr lud sich das Thema Geld für mich mit Sinn auf.

Dann kam 9/11 und der poltisiche und finanzielle Herzschlag der USA setzte für lange Zeit aus. Wer nicht als Feuerwehrmann arbeitete oder Schutt wegräumte, fühlte sich hilf- und nutzlos. Niemand konnte sich vorstellen, dass diese sinnentleerende Katastrophe eines Tages etwas Positives hervorbringen würde. Doch 9/11 hat, wenn auch im Kleinen, etwas im Bewusstsein der Menschen verändert. In der Stadt der Karriere- und Geldsüchtigen fanden viele zu Werten zurück, die in dem wilden Erfolgskarroussel untergegangen waren. Freundschaft wurde wieder wichtig. Familie. Die Blumen am Wegesrand. Manch Börsenmakler und manche Investmentbankerin hat in dieser Zeit gelernt, dass „reich“ auch eine Form der Lebensfülle sein kann, die nicht käuflich ist.

Wir drei blieben noch mehrere Jahre nach der Katastrophe in New York City und erlebten, wie die Stadt wieder auf die Füße kam. Dann beschloss die erste von uns, dass es Zeit war, in die alte Heimat zurückzukehren. Noch ein paar Mal trafen wir uns zu dritt, um gemeinsam durch unsere Lieblingsviertel zu streifend und über unsere Zukunft zu spekulieren. An einem dieser Tage habe ich die Silbermünzen entdeckt, in einem kleinen Laden an der 86sten Straße.

Ja, der Geldengel ist ein bisschen kitschig. Aber er ist auch ein Symbol für etwas, das unser Leben auf eine tiefe und geheimnisvolle Art berührt – eine Währung, die uns im Überfluss zur Verfügung steht.

Verraten Sie uns, was Sie in Ihrem Geldbeutel tragen?

Herzliche Grüße,
Birte Pampel